Jürgen Herres

Karl Marx, Friedrich Engels und die Revolution von 1848/49 im Rheinland

Karl Marx und die Revolution von 1848/49

Ein knappes Jahr lang, vom 1. Juni 1848 bis zum 19. Mai 1849, erschien in Köln auf Aktienbasis die „Neue Rheinische Zeitung“ als „Organ der Demokratie“. Chefredakteur war Karl Marx und in dessen Abwesenheit Friedrich Engels. Vor allem als von diesen beiden wesentlich gestaltete Zeitung stand die „Neue Rheinische“ im Fokus der historischen Forschung. Doch darin erschöpft sich in keinem Fall der Quellenwert und die historische Bedeutung dieser Tageszeitung. Köln war damals mit fast 90.000 Einwohnern und viertausend Soldaten nach Berlin und Breslau die drittgrößte Stadt der preußischen Monarchie und fungierte als Handels-, Banken- und Verkehrsmetropole im Westen Deutschlands. In dem kurzen Moment, in dem 1848/49 in Deutschland Pressefreiheit bestand, gelang es der „Neuen Rheinischen Zeitung“ als einziger republikanischer Tageszeitung, sich als größeres Blatt mit gesamtdeutscher Verbreitung zu etablieren, das auch im Ausland wahrgenommen wurde.

In der Deutung der marxistisch-leninistischen Forschung der DDR und der Sowjetunion war die Zeitung ihrer Richtung und ihrem Inhalt nach ein „kommunistisches Parteiorgan“ und die Redaktion unter Marx‘ Leitung „der wirkliche Kampfstab des Proletariats“. Dies ist jedoch völlig unzutreffend. Bereits Engels’ Behauptung von 1885, die Zeitung habe „innerhalb der damaligen demokratischen Bewegung den Standpunkt des Proletariats“ vertreten und sei demokratisch gewesen im Sinne einer „Demokratie, die überall den spezifisch proletarischen Charakter im Einzelnen“ hervorgehoben habe, geht an der Realität vorbei – vor allem in Köln. Hier gab es bereits vor 1848 eine aktive kommunistische Bewegung und organisierten sich im April und Mai 1848 Tausende Kölner Handwerker in einem Arbeiterverein.

Und so sah sich die „Neue Rheinische Zeitung“ aufgrund ihres politischen Zusammengehens mit den bürgerlichen Demokraten von Anfang an mit einer Arbeiteropposition von links konfrontiert. Aufgrund der anspruchsvollen Sprache der Zeitung verlangten Mitglieder des Kölner Arbeitervereins sogar einen „Dolmetscher“, da die in der Zeitung gespielte Musik so hoch gesetzt sei, dass sie sie nicht spielen könnten. Nachdem sich Marx mit seiner ganzen Autorität in den preußischen Abgeordnetenwahlen im Januar und Februar 1849 gegen die Aufstellung eigener Arbeiterkandidaten eingesetzt hatte, machte ihm der Kölner Arzt und Arbeiterführer Andreas Gottschalk, der von Juli bis Dezember 1848 wegen republikanischer Reden in Untersuchungshaft gesessen hatte, in einem offenen Brief schwere Vorwürfe. Marx sei ein heuchlerischer „Fastenprediger“, der von den Arbeitern verlange, sich „freiwillig in das Fegefeuer einer dekrepiden Kapitalherrschaft“ zu stürzen, um irgendwann „der Hölle des Mittelalters zu entgehen“. Sich zur „revolutionäre[n] Proletariatsparthei“ zählend, wollte Gottschalk dagegen „die Revolution permanent“ machen.

Deshalb ist nicht der angebliche proletarische Standpunkt der „Neuen Rheinischen Zeitung“ das Spannende, sondern deren am französischen Beispiel orientierte demokratisch-republikanische Grundausrichtung und Zielsetzung. Am Beispiel Englands und Frankreichs hatten Marx und Engels 1846/47 das Konzept eines mehrstufigen politischen Umsturzprozesses entwickelt, der in einer sozialen Umgestaltung münden sollte. Aus ihrer Sicht hinkten die deutschen Staaten nicht nur den westeuropäischen politisch und wirtschaftlich hinterher, sondern war die spätabsolutistische Herrschaft zudem bürokratisch überformt. Deshalb sei es auch im Interesse der Arbeiter, dass das große Wirtschaftsbürgertum in einem parlamentarischen Verfassungsstaat an die Macht komme, um die soziale und ökonomische Entwicklung voranzutreiben. 1848 erhofften sie darüber hinaus, dass in Deutschland die liberale National- und Verfassungsrevolution wie in Frankreich die demokratische Republik durchsetze. Von der Republik erwarteten sie erste Eingriffe in das Privatrecht und Privateigentum. Aber aus den „halben“ deutschen Märzrevolutionen, die vor den Fürsten- und Königsthronen Halt gemacht hatten, wurde keine ganze republikanische Revolution.

Sehen Sie bitte für weiterführende Informationen und Darlegungen:

Zur Geschichte der Revolution von 1848/49 im preußischen Rheinland

In Preußen war die Revolution von 1848 "eine Aktion der Rheinlande und eine Reaktion der alten Provinzen gegen sie". So eine Formulierung des hochkonservativen Leopold von Gerlach, Generaladjutant König Friedrich Wilhelm IV. Vom Rheinland ging im März 1848 der erste Ruf nach politischer Neugestaltung in der preußischen Monarchie aus. Die Konterrevolution ging demgegenüber vom agrarischen Osten Preußens aus.

Rund um den 150. Jahrestag, 1998, veröffentlichte ich folgende Beiträge:

    Das preußische Rheinland in der Revolution von 1848/49. In: Stephan Lennartz u. Georg Mölich (Hg.): Revolution im Rheinland. Veränderungen der politischen Kultur 1848/49. Köln 1998 (Bensberger Protokolle. Schriftenreihe der Thomas-Morus-Akademie Bensberg, 29). S. 13–36.

    Politischer Katholizismus im Rheinland 1848/49. In: Politische Strömungen und Gruppierungen am Rhein 1848/49. Vorträge gehalten auf dem Symposium anläßlich des 150. Jahrestages der Revolution von 1848/49 im Rheinland am 9. November 1998 im Landtag Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf, veranstaltet von der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde und vom Landschaftsverband Rheinland. Düsseldorf 1999. (Publikationen der Gesellschaft für rheinische Geschichtskunde, Vorträge 31). S. 39–70.

    Köln

    1848/49 – Revolution in Köln. Köln 1998.

    Köln [1848–1849]. In: 1848 – Revolution in Deutschland. Hg. von Christoph Dipper und Ulrich Frankfurt am Main und Leipzig: Insel Verlag 1998. S. 114–130.

    Köln 1848–1850 in Augenzeugenberichten. Die Korrespondenzen des Lehrers Alexander Günther in der Hamburger Modezeitung „Jahreszeiten“. In: Geschichte in Köln Nr. 44, 1998, S. 71–137.

    Aachen

    [Hg. zusammen mit Guido Müller] Aachen, die westlichen Rheinlande und die Revolution 1848/49. Aachen 2000.

    Parteipolitik und Religion. Die Wahl  und Vereinsbewegungen in der katholischen Fabrikstadt Aachen 1848/49. Ebenda. S. 135–182.

    Wer ging am 1. Mai 1848 in Aachen zur ersten demokratischen Wahl? Ebenda. S. 183–196.

    Dokumente zu den Wahl-, Petitions- und Vereinsbewegungen von 1848/49 in Aachen. Ebenda. S. 197–213.

    Trier

    Demokratische Vereinsbildung als Gesellschaftsreform. Zum politischen Parteiwesen in Trier 1848–1851. In: Elisabeth Dühr (Hg.): „Der schlimmste Punkt in der Provinz“. Demokratische Revolution 1848/49 in Trier und Umgebung. Trier 1998. S. 459–501.

    Einleitung. Ebenda. S. 13–30.

    Zur Geschichte der Revolution von 1848 in Koblenz siehe Das preußische Koblenz 1814–1914. In: Geschichte der Stadt Koblenz. Bd. 2: Von der französischen Stadt bis zur Gegenwart. Stuttgart 1993.